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Im Schatten des Kreml

- langjähriger ARD-Korrespondent Udo Lielischkies am Elly

Ein absolutes Highlight durften 185 Schülerinnen und Schüler der neunten und zehnten Klassen des Elly erleben, als der vielfach prämierte Journalist, Buchautor und Filmemacher Udo Lielischkies anekdotenhaft aus seinen Russland-Erfahrungen berichtete.
Lielischkies, in Köln 1953 geboren und von 1980 bis 2018 für den WDR u.a. in Brüssel, Washington und Moskau tätig, war fast zehn Jahre in der russischen Hauptstadt ansässig und begeisterte die Schülerinnen und Schüler mit seinem Wissen über Russland und seiner lockeren, aber doch stets präzisen Darstellung, die tiefe Einblicke in das Russland der Putin-Ära ermöglichte. Marius Schmidt von der Reinhold-Maier-Stiftung hatte den Vortrag am 15.12.2022 zusammen mit StRin Alke Konarek organisiert.
„Am besten erzähle ich euch ein bisschen über Putin, dann versteht ihr auch den Ukraine-Krieg besser“, begann der Journalist. Geboren 1952 in Leningrad in eine Familie, die während der deutschen Belagerung der Stadt von 1941-1944 zwei Brüder und fast auch noch die Mutter verloren hätte, ein Aufwachsen in den Leningrader Hinterhöfen „zwischen Männerschweiß und Kleinkriminalität“, Kampfsport und nach dem Jurastudium mit 23 zum Geheimdienst KGB. Äußerlich klein und unscheinbar, Spitzname „Die Motte“, sei bei dem akribischen Fleißarbeiter Wladimir Putin schon früh seine Fähigkeit aufgefallen „Menschen für sich einzunehmen“ – und zu täuschen. Nach der Ausbildung folgten Jahre in Dresden, die mit dem Untergang der DDR ziemlich unerfolgreich endeten. Zurück in Leningrad, das nun St. Petersburg hieß, arbeitete sich Putin zielstrebig vom Assistenten des Bürgermeisters bis zum Premierminister von Boris Jelzin nach oben. Problem: Niemand in Russland nahm von Putin Notiz. Interessant die Äußerungen von Lielischkies, wie dem bis dato obskuren Putin zielgerichtet Popularität vermittelt wurde: Präsident Jelzin und vor allem seine Familie hätten sich unter dessen Präsidentschaft massiv illegal bereichert, und der eigentlich wahrscheinlichste Nachfolgekandidat von Jelzin als Präsident, der Kommunist Primakow, hätte sicher Korruptionsermittlungen eingeleitet. Also habe man über Putins Geheimdienstverbindungen angeblichen tschetschenischen Terroristen Anschläge in Moskau untergeschoben mit dem Ziel, den Krieg gegen Tschetschenien im Jahr 1999 beginnen zu können und Putin als Kriegspremier bekannt zu machen. „Die Bilder und die Grausamkeit, mit der der Krieg damals von Russland aus geführt wurde, kann man 1:1 mit der Ukraine heute vergleichen“, sagt der ehemalige Russlandkorrespondent der ARD. Putin erste Amtshandlung, nachdem ihm Jelzin am 31.12.1999 sein Büro übergeben hatte, war ein Edikt, das Jelzin und seine Familie für alle Zeit von jeglicher Strafverfolgung freistellte. Putin habe seinen Teil der Vereinbarung also sofort eingehalten und ist seit diesem Tag der einflussreichste Politiker in der Russischen Föderation.
Der Westen begrüßte den neuen Präsidenten freudig und erhielt Rohstoffe zu günstigen Preisen – und ließ Putin Schritt für Schritt demokratische Institutionen abbauen. Innerhalb kürzester Zeit wurden KGB-Leute an alle Schalthebel in Politik, Justiz, Wirtschaft und Medien gesetzt, das ganze Land innerhalb weniger Jahr gleichgeschaltet. Im großen Rahmen sei das Land von Oligarchen und den Geheimdiensten bestohlen und ausgeplündert worden. Heute gäbe es keinen Wirtschaftsdeal mehr, an dem nicht der Inlandsgeheimdienst FSB, dessen ehemaliger Chef Wladimir Putin heißt, mitmische. Dass bis 2008 trotz des Demokratieabbaus und der grassierenden Korruption für die russische Bevölkerung dennoch eine bescheidene Wohlstandsvermehrung möglich war, habe ausschließlich an der Erhöhung des Ölpreises gelegen, der von 2000 bis 2007 von 25 auf 145 US-Dollar für ein Barrel Öl gestiegen sei. „Das waren Sickereffekte, die mit der weltweiten Finanzkrise 2008 zu Ende waren“, sagt Lielischkies. 
Nachdem Putin noch 2008 kein Problem damit gehabt hätte, wenn Georgien und die Ukraine in die NATO aufgenommen worden wären, änderte sich nun sein Ton schlagartig, als der zusammengebrochene Ölpreis keine Wohltaten mehr erlaubte und Putin mit Widerstand aus der Bevölkerung rechnen musste.
„Er musste dem Volk nun etwas Neus erzählen“, meint der Referent, „und jetzt ist der Westen als Bedrohung für Russland“ aufgebaut worden, obwohl die NATO ein reines Verteidigungsbündnis sei.
Udo Lielischkies, mit einer Russin verheiratet und Vater von zwei Kindern mit deutschem und russischem Pass, kommt dann auf die Ukraine zu sprechen. „2014 ließ Putin die Maske fallen, annektierte die Krim und marschierte im Osten der Ukraine ein.“ Sehr kritisch nimmt er zu den Reaktionen des Westens, vor allem Deutschlands, Stellung. Es seien 2014 keine starken Sanktionen erfolgt, im Gegenteil, erst nach diesen massiven Völkerrechtsverletzungen habe Deutschland dem Bau der Gaspipeline Nordstream 2 zugestimmt – und damit Putin zu weiteren Rechtsbrüchen ermutigt, bis hin zum Überfall auf die Ukraine im Februar 2022. Doch damit habe sich Putin verkalkuliert, Putin, der seit 2014 nur noch von gleichgesinnten Hardlinern umgeben sei.
Spannend verlief auch die anschließende Diskussion mit den Elly-Schülern. Ob er persönlich bedroht worden sei während seiner Recherchen, ob er Putin persönlich getroffen habe, was mit Russland passiert wäre, hätte es Putin nie gegeben, wie geht es in Russland und der Ukraine weiter? Kenntnisreich und zugleich sich klar positionierend, gibt der Journalist Antwort. Putin, so Lielischkies, würde erst verhandeln, wenn er einsehe, dass er die Ukraine nicht besiegen könne. Und deswegen sei die einzige Möglichkeit des Westens die, die Ukraine massiv aufzurüsten, damit diese den Krieg gewinnen könne. In Russland selbst sei weder bei den Eliten noch bei der Bevölkerung die Unterstützung für den Kriegskurs groß, aber: „Russland ist heute ein absoluter Geheimdienststaat“, und aufgrund des gut geölten Propagandaapparates und des ausgeklügelten Repressionsapparates sei Widerstand gegen Putins Kriegspolitik aktuell nicht mehr möglich.
Viel Applaus!
Christoph Zänglein